(aktualisiert am 12.06.23)
Kennst du das Gefühl der Einsamkeit – obwohl du nicht allein bist? Wenn ich mich getraut habe, mal nachzufragen, kam öfter die Antwort: „Ich einsam? Nein, ich habe ja Familie und Freunde …“. Ja, die habe ich auch. Trotzdem habe ich mich schon als Kind häufig einsam und „anders“ gefühlt. Auch inmitten meiner Familie, auch wenn ich mit Freunden unterwegs war.
Ich bin gern allein. Da kann ich am besten auftanken. Ich lese, träume, schaue Filme und gehe auch mal ohne Begleitung ins Café. Genug Zeit zum Alleinsein ist wichtig für mich. Einsamkeit dagegen ist schon eine Herausforderung. Mein Herz gibt mir dann S.O.S. Signale, dass etwas Wichtiges fehlt. Zu wenig „echter“ Kontakt, zu wenig Natur und Bewegung. Ich habe vielleicht zu viel Zeit vor dem Computer oder in digitalen Meetings verbracht oder mich in unproduktiven Gedankenschleifen und Sinnfragen verloren.
Meist atme ich unbewusst schon eine ganz Weile viel zu flach. Das trägt auch dazu bei, dass ich mich abgeschnitten fühle vom „wahren Leben“, von meinen Lieblingsmenschen und dem großen Ganzen. Sie kommt dann gern mal vorbei, die Einsamkeit, zusammen mit ihrer Zwillingsschwester Traurigkeit.
Ich will das hier jetzt nicht psychologisch deuten. Die Ursache ist mir erst einmal egal. Ich liege hier ja nicht auf der Couch. Um behandlungsbedürftige Depressionen handelt es sich in meinem Fall laut medizinischem Fachpersonal erst einmal nicht. Wenn du dich regelmäßig einsam fühlst, checke das aber unbedingt ab, bei einem Arzt deines Vertrauens.
Bei den regelmäßigen Besuchen von Einsamkeit und Traurigkeit lasse ich mich von meinen drei Lieblingstools aus meinem Erste-Hilfe-Koffer unterstützen:
- fühlen
- atmen
- annehmen
Fühlen, atmen, annehmen
Bevor ich aktiv werde, ist mein erster Schritt zuerst zu erkennen: Ja, ich fühle mich jetzt gerade einsam. Ich halte inne und atme ein paar Mal bewusst ein- und lange aus. Tief in den Bauch und dann bis in den Brustkorb. Zwei, drei volle Atemzüge. Dann begrüße ich meine Einsamkeit: „Aha, da bist du ja wieder.“ Wenn ich sie fühle, fühlt sie sich ernst genommen. Wenn ich mich gleich ablenke, die Einsamkeit wegdränge, versuche, sie zu ignorieren, wird sie leicht unwirsch.
Meine Einsamkeit wünscht sich erst einmal Zuwendung. Sie mag Nähe und schmiegt sich an mich an. Manchmal will sie auf den Arm, und dann nehme ich sie zu mir. Ich halte sie, bis es genug ist. Dann lässt sie mich von selbst wieder los, wie ein Kind, das nach dem Trösten wieder fröhlich weiterspielt.
Einfache Lieder, sanft gesungen, gefallen der Einsamkeit auch. Der Text ist nicht so wichtig. Vielleicht ein Mantra, vielleicht ein heilsames Liedchen wie „Oh lass es dir gut geh’n – egal was geschehen, egal was geschehen, oh, lass es dir gut geh’n.“ Ich atme, tief und ruhig weiter und mache mir bewusst, dass die Einsamkeit kein Teil meines Wesens ist. Sie kommt nur zu mir auf Kurzbesuch, und sie wird auch wieder gehen. Ich brauche keine Angst vor ihr zu haben. Ich lasse sie einfach da sein.
Auch das glücklichste Leben ist nicht ohne ein gewisses Maß an Dunkelheit denkbar und das Wort Glück würde seine Bedeutung verlieren, hätte es nicht seinen Widerpart in der Traurigkeit.
Carl Gustav Jung
Mit Einsamkeit und Traurigkeit bei mir trete ich innerlich einen Schritt zurück. Dadurch verändert sich mein Blickwinkel. Ich sehe die Welt und unsere Erdkugel und mache mir bewusst, dass ich sie mit allen anderen Lebewesen und Pflanzen teile. Wir atmen die gleiche Luft und sind miteinander verbunden in diesem tollen Spiel vom Werden und Vergehen.
Das Mantra OM Mani Padme Hum kommt mir oft in den Sinn: Mögen alle Wesen in allen Welten glücklich sein. Manchmal fühle ich mich auch wie ein kleiner Tropfen im riesigen Ozean. Einzeln unbedeutend, aber wenn man genauer hinschaut, enthält dieser Tropfen die ganze Welt. Was für ein Wunder! Ich atme noch einmal tief ein und aus. Die Einsamkeit winkt mir nur noch mal zum Abschied aus der Ferne.
Es gibt viele bewährte Tipps, die dir helfen, gelegentliche Einsamkeitsgefühle gut zu verleben:
- ein Spaziergang durch Wald und Wiesen oder um den Block
- unter Leute kommen, z. B. sich in ein Café setzen
- sich körperlich auspowern, joggen, Hanteln schwingen. Freies Tanzen zur Lieblingsmusik hilft auch
- jemanden umarmen. Möglichst eine etwas längere Umarmung…
- Freunde anrufen und mit ihnen plaudern
- etwas unternehmen, wie Kino-, Theater- oder Museumsbesuch
- Nachbarschaftshilfe leisten, sich ehrenamtlich engagieren
- AKTIV werden, etwas tun, was Freude bereitet: z. B. einen Kuchen backen und ein Stück dem Nachbarn vorbeibringen, Pflanzen pflegen, Tiere füttern, stricken, malen, ein spannendes Buch lesen
- Mein absoluter Lieblingstipp: Mantra singen bzw. chanten in einem Kreis freundlicher Menschen
Kurz gesagt: Tue etwas für dich selbst und für andere. Genieße Kleinigkeiten bewusst, anstatt dich immer mehr in traurige Einsamkeits-Gedanken zu verstricken.
Einsamkeit oder Depression?
Es ist wichtig, bei sich und anderen wahrzunehmen, wann Einsamkeitsgefühle Zeichen einer seelischen Erkrankung sind. Gefühle von innerer Einsamkeit und Traurigkeit kenne ich zwar sehr gut, ich fühle mich aber grundsätzlich stark, widerstandsfähig und voller Lebensfreude.
Die Anfälligkeit für Gefühlsschwankungen ist in Übergangsphasen wie der Pubertät und dem „Mittelalter“ grundsätzlich größer. Einsamkeit im höheren Alter kann dann auch sein, wenn vertraute Menschen sterben, oder das soziale Netz nicht eng geknüpft ist.
Sind Gefühle von Einsamkeit oder Traurigkeit Teil deines lebendigen Gefühlshaushaltes oder handelt es sich um depressive Verstimmungen bzw. eine Depression? Das solltest du nicht allein diagnostizieren. Sprich unbedingt mit dem Arzt deines Vertrauens darüber, und hole dir beim leisesten Zweifel lieber professionelle Hilfe.
Diese Symptome können Zeichen einer Depression sein
grundlegende Traurigkeit und Mangel an Lebensfreude
Rückzug von Freunden und Familie
du hast kein Interesse mehr an Dingen, die dir vorher Spaß gemacht haben
du kannst dich zu nichts aufraffen, bist antriebslos
du kannst dich schlecht konzentrieren und fühlst dich nicht mehr belastbar
du fühlst dich wertlos und schuldig
du bist leicht gereizt und wirkst unfreundlich oder aggressiv
du hast keinen Appetit mehr
du schläfst schlecht
das Atmen fällt dir schwer, du fühlst einen Druck in der Brust
du hast plötzlich körperliche Schmerzen
Du bist nicht allein. Sprich mit Freunden, Nachbarn, Bekannten darüber, dass du dich einsam und traurig fühlst. Vereinbare gleich einen Termin mit deiner Hausärztin. Wenn es akut ist, und du ein offenes Ohr und einen mitfühlenden Menschen brauchst, fasse Mut und rufe die Telefonseelsorge oder eine ähnliche Hilfe-Hotline an. Reden hilft, und da sind Menschen, die dir auf jeden Fall zuhören.
Die Telefonseelsorge
Telefon: 0800 111 0 111 oder 0800 111 0 222
www.telefonseelsorge.de
Die Nummer gegen Kummer für Jugendliche und Eltern
Telefon für Kinder und Jugendliche: 0800 116 111
Telefon für Eltern: 0800 1110 550
www.nummergegenkummer.de
Die Deutsche Depressionshilfe
Telefon: 0800 33 445 33
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Was gegen Einsamkeit helfen kann
Vielen Dank für Ihren interessanten Beitrag. Wir haben den Eindruck, dass sich nicht jeder einsam fühlt, der allein ist. Aber für viele Menschen ist Einsamkeit ein schweres Thema, besonders dann, wenn sie wenig Möglichkeiten haben, am sozialen Leben teilzunehmen.
Das betrifft speziell kranke, alte und arme Menschen. Einsamkeit ist weitverbreitet und die Corona-Zeit hat das Alleinsein für viele Menschen zum Trauma gemacht. Die Folgen können sehr schwerwiegend sein, bis hin zum Selbstmord.
Wir haben es selbst erlebt: Keine Ansprache von Dritten, keine wirkliche persönliche Nähe zu anderen und kein Austausch kann sehr einsam machen. Und es betrifft nicht nur alte Menschen. Es geht durch alle Alters- und Gesellschaftschichten.
Wir haben beobachtet, dass Menschen, die über einen längeren Zeitraum einsam sind, erhebliche Folgen am Körper und an der Seele erleiden können. Viele Betroffene entwickeln Angstzustände, Suchtkrankheiten und Depressionen.
Das Thema Einsamkeit ist manchmal schambesetzt. Aber das sollte es nicht sein. Jeder kann in die Lage kommen, den Anschluss an soziale Kontakte zu verlieren. Lassen Sie uns aufmerksam sein und einander begegnen. Fangen wir in den Familien an, treffen wir uns am Stammtisch, laden wir unsere Nachbarn zum Kaffeetrinken ein und unternehmen wir mit Gleichgesinnten Ausflüge.
Eigentlich müsste niemand einsam sein, wenn wir alle auf uns schauen. Das Problem ist wahrscheinlich in der Anonymität der Großstadt weiterverbreitet als auf dem Land, wo sich die Leute noch kennen und in vielen Vereinen begegnen.
Die kirchlichen Angeboten sollten beim Thema Einsamkeit auch nicht unterschätzt werden. Viele Kirchengemeinden bieten neben dem sonntäglichen Gottesdienst schöne Freizeitangebote an wie Chorsingen oder Lesungen mit Diskussionen.
Schön geschrieben…
Die personifizierten Zwillingsschwestern namens Einsamkeit und Traurigkeit aktivieren das Kopfkino, wie sie so einträchtig nebeneinander spazieren. Und die Tipps, wie man mit ihnen umgehen kann, sind auch für viele Menschen hilfreich.
Weiterhin viel Spaß beim Bloggen, liebe Elena!
Liebe Claudia, danke für dein nettes Feedback! Ja, die Zwillingsschwestern Einsamkeit und Traurigkeit gehören wohl bei vielen von uns zur Familie. Da hilft nur Liebe, damit sie selbstständig werden … Ganz herzliche Grüße, Elena